Aus gegebenem Anlass (s. Seite Upcycling) versuche ich gerade, dem Begriff Sentimentalität näherzukommen. Als erstes kam mir mal wieder ein Bild aus einem Salinger-Text in den Sinn: Sentimentalität als niedliches Kätzchen, dem man eine riesige Schleife umbindet, um es noch niedlicher zu machen.
Gleich darauf fiel mir Dornseiff ein, bei dem man beruhigenderweise jederzeit alles nachschlagen kann, aber bei Wikipedia nachschauen geht ja schneller. Dort wird das Schwelgerische der Sentimentalität betont, wobei das Gefühlsspektrum, in dem geschwelgt wird, von wohlig über sehnsüchtig bis zu melancholisch reicht.
Und was sagt Dornseiffs Wortschatz? Dort wird Sentimentalität unter dem Stichwort Mitgefühl geführt und das Wort sentimental wird eingereiht unter so schöne Wörter wie ästhetisch, allergisch, empfindlich, feinfühlend, labil, lyrisch, mimosenhaft, pingelig, poetisch, reizbar, romantisch, schmachtend, seelenvoll, sensitiv, unverstanden, wehleidig, weinerlich, überwach, und zartbesaitet.
Und in direkter Nachbarschaft wohnen die Wörter Künstler(natur), Dichter, Mimose, Schöngeist und Prinzessin auf der Erbse.
Letzteres bringt mich auf ein Andersen-Märchen, in dem die genervte Prinzessin vom Dummling wissen möchte, wie man denn bloß diese ständig wegkullernden Erbsen auf die Gabel spießen soll. Der Dummling rät ihr, die Gabel in Honig zu tauchen, dann würden die Erbsen schon dran kleben bleiben. Schmeckt scheußlich, meint die Prinzessin. Aber funktioniert, meint der Dummling.
Genauso ist es mit der Sentimentalität.
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Übertragung
Es gibt zwei Zeilen in einem alten Gedicht von Tao Yuanming, die mich schon seit Jahren umtreiben. Es gibt viele unterschiedliche, immer mehr oder weniger wörtliche englische Übertragungen:
Cage bird long for old forest
Pond fish long for deep old pool
Oder:
The caged bird wants the old trees and air.
Fish in their pool miss the ancient stream.
Aus den deutschen Übertragungen und mit Blick auf die englischen Versuche hab ich mir irgendwann meine Lieblingsvariante zusammengebastelt:
Der Vogel im Käfig sehnt heim sich zum Walde,
Dem Fisch im Teich bleibt unvergesslich sein See.
Daraus ergab sich irgendwann die Frage, ob sich ein Gartenteich auch nach dem Meer sehnen könnte und daraus ergab sich meine Gartenteichaktion (s. Aktionen), die statt Lethe vielleicht besser Weckruf heißen sollte.
Allerdings ist das Wasser vom Unterweltfluss Lethe nun mal flüssig, während ein Weckruf eher im Luftbereich angesiedelt ist, mit schrecklichen Weckerpiepstönen. Oder mit einem krähenden Hahn, der einen stracks zum Lied Der Hahn ist tot, der Hahn ist tot führt. Spätestens dann ist die Geschichte von der Erinnerung eines Gartenteichs an das riesige Salzmeer wieder vergessen.
Für meine Gartenteichaktion ist Lethe deshalb im Augenblick doch der bessere Titel …
Horch, was kommt von draußen rein?
Wenn man vom griechischen Wort für Wahrheit ein paar Buchstaben wegstreicht, trifft man plötzlich auf die gute alte Lethe: aletheia.
Es ist aber nicht wahr, dass man deswegen gleich in der dunklen Unterwelt am Fluss des Vergessens hocken muss, sondern ganz im Gegenteil, das Unvergessene liegt in der Wahrheit.
Durch das Wegstreichen von Buchstaben kann man natürlich alles und nichts beweisen. Zum Beispiel, wenn ich mich auf den schönen Begriff der brotlosen Kunst zurückbesinne, ist es im Zusammenhang mit der Auffassung von Wahrheit als dem Unvergessenen natürlich reizvoll, auch das deutsche Wort Unvergessenes zusammenzustreichen.
Eigentlich sollte jetzt noch ein eleganter Schlenker zum Metaphernbegriff kommen, aber mir schwirrt schon den ganzen Morgen das holahi-rufendes Vergissmeinnicht durch den Kopf:
Wenn ich dann gestorben bin, Hollahi, hollaho,
Trägt man ich zum Grabe hin, Hollahi, hollaho.
Setzt mir keinen Leichenstein, Hollahi, hollaho,
Pflanzt mir drauf Vergissnichtmein, Hollahi, hollaho.
Mehr dazu an einem anderen Tag …
Noch ein Wechselbalg
Irgendeine Firma hat kürzlich auf Plakatwänden für eine Last Minute Aktion geworben und ich habe immer Lost Minute gelesen. Das hat mich dann an eine Gedankengabelung geführt. Einmal musste ich an eine Art Zeitfee denken, die verlorene Minuten aufsammelt (und dann was genau damit macht?).
Der andere Weg brachte mich in ein Wartezimmer, für mich das Sinnbild des Zeitverlierens. Wobei das ja Quatsch ist, auch beim Warten verliert man keine Zeit. Das geht doch gar nicht, Zeit verlieren.
Außer vielleicht während einer Vollnarkose. Beim Augenöffnen im Aufwachraum fühlt man sich um eine Zeitspanne betrogen.
Aber Last Minute ist eigentlich auch nicht schlecht. Vor allem die Wendung Last Minute Angebot. Bin gespannt, was für Angebote mir in meiner letzten Minute auf der Erde einmal gemacht werden!
Alles Käse
Wurst ist einfach ein tolles Wort, vor allem wenn man es zur Wurscht macht und als Alternative gebraucht zum leicht etwas keimfreien egal.
Dazu fällt mir die denkende Donnerstags-Maus ein:
O hätte ich ein Wurstebrot
mit ganz viel Wurst und wenig Brot!
Aus: Was denkt die Maus am Donnerstag, Gedicht von Josef Guggenmos, 1967
Die Donnerstags-Maus erinnere ich als den ersten Text aus meinem ersten dicken Lesebuch in der Grundschule. Der erste Text aus DEM BUCH. Das war die Eintrittskarte in die Welt der Erwachsenen (= Lesenden). Die erste Seite! DAS BUCH! So wichtig!
Und dann ging es um so etwas Mickriges wie eine Maus.
Und alles an einem schnöden Donnerstag.
Oh Rätsel über Rätsel!
Wenn man eher Wurst mag statt Käse, dann ist man also eher eine Maus und kein Künstler. Andererseits gibt es natürlich auch unter den Mäusen ganz hervorragende Künstler …
Ach was, der Katze wird es so oder so nie schlecht ergehen. Ob Käse oder Wurst aufs Brot kommt, ist deshalb wurschtegal.
Zwei Wechselbälge
Hier sollte es eigentlich weitergehen mit Kunst und Naivität, aber zuerst muss ich zwei frische Verleser loswerden. Hat das Verkünden von Verlesern eigentlich etwas Naives? Vielleicht ja, wenn man sich an die kindliche Freude von Schülern erinnert, die im Tafeltext eines Lehrers einen Rechtschreibfehler entdecken. Da freuen sich die unterdrückten Schüler, dass der Meister auch mal was falsch macht und genießen für einen kurzen Augenblick ein Stück verkehrte Welt. Und Schadenfreude ist wohl auch mit dabei, vor allem, wenn der Lehrer unbeliebt ist.
Kann man gleichzeitig naiv sein und schadenfroh? Wenn ich an die rausgepickten Synonyme aus dem letzten Artikel denke, ja. Aber eigentlich wollte ich doch nur die beiden Verleser hinschreiben …
In der Bücherhalle hab ich gestern einen kurzen Blick ins Ausstellungsregal getan und oben rechts ein großes buntes Buch gesehen mit dem treffenden Titel: Familienbruch und Gartenfest – die besten Rezepte für gelungene Feste.
Der zweite Blick hat dann leider ergeben, dass es nicht Familienbruch, sondern Familienbrunch hieß, und da war ich wohl so im Essensthema, dass ich mir unten rechts im Regal gleich den Nachtisch verlesen habe. Dort stand das neue Buch von John Grisham: Das Kompott.