Nachtrag

Mikrokosmos

Irgendwann vor ziemlich vielen Jahren war es mancherorts beliebt, das eigene Poesialbum mit ein paar aufmunternden Sätzen zu eröffnen.
So etwa:

Liebe Leute groß und klein,
schreibt mir in mein Album rein,
reißt mir keine Blätter raus,
sonst ist unsre Freudschaft aus!

Dem möchte ich ein Stück aus Gregor von Tours Geschichte der Franken zur Seite stellen, wieder aus dem Internet Medieval Sourcebook, deswegen wieder auf Englisch.
Zugegeben, es gibt da wohl gewisse Unterschiede.
Beim Poesiealbum lass ich mir die leeren Seiten bequemerweise von anderen Leuten füllen, die sich dafür ihrerseits bei irgendwelchen Dichtern bedienen, während ich bei meinem eigenen Buch die meiste Arbeit selbst erledigen musste.
Und doch …
Hier jedenfalls das Textstück. Es steht, an die Nachwelt gewandt, ganz am Ende des zehnten Buchs, nach einer Aufzählung der bisherigen Bischöfe von Tours:

And bishop of God, whoever you may be, if our Martianus has trained you in the seven disciplines, that is, if he has taught you by means of grammar to read, by dialectic to apprehend the arguments in disputes, by rhetoric to recognize the different meters, by geometry to comprehend the measurement of the earth and of lines, by astrology to contemplate the paths of the heavenly bodies, by arithmetic to understand the parts of numbers, by harmony to fit the modulated voice to the sweet accents of the verse; if in all this you are practiced so that my style will seem rude, even so I beg of you do not efface what I have written. But if anything in these books pleases you I do not forbid your writing it in verse provided my work is left safe.

Aus: Book X, 31. List of the bishops of Tours.

Alles Käse

Wurst ist einfach ein tolles Wort, vor allem wenn man es zur Wurscht macht und als Alternative gebraucht zum leicht etwas keimfreien egal.
Dazu fällt mir die denkende Donnerstags-Maus ein:

O hätte ich ein Wurstebrot
mit ganz viel Wurst und wenig Brot!
Aus: Was denkt die Maus am Donnerstag, Gedicht von Josef Guggenmos, 1967

Die Donnerstags-Maus erinnere ich als den ersten Text aus meinem ersten dicken Lesebuch in der Grundschule. Der erste Text aus DEM BUCH. Das war die Eintrittskarte in die Welt der Erwachsenen (= Lesenden). Die erste Seite! DAS BUCH! So wichtig!
Und dann ging es um so etwas Mickriges wie eine Maus.
Und alles an einem schnöden Donnerstag.
Oh Rätsel über Rätsel!

Wenn man eher Wurst mag statt Käse, dann ist man also eher eine Maus und kein Künstler. Andererseits gibt es natürlich auch unter den Mäusen ganz hervorragende Künstler …
Ach was, der Katze wird es so oder so nie schlecht ergehen. Ob Käse oder Wurst aufs Brot kommt, ist deshalb wurschtegal.

Laufmasche 1

Was ist denn nun schlimmer als der Kunsthandwerksstempel, wenn man als Künstler erwischt wird beim Gang nach Käsebrot?
Zum Beispiel: Sich angekettet an einen Galeristen durchs Künstlerleben bewegen müssen!

Kunst und Käse

Ach ja, wir armen Künstler und dann immer der Gang nach Brot, und wenn man sich dabei erwischen lässt, setzt es den Kunsthandwerks-Stempel oder noch Schlimmeres.
Dabei geht doch kein Mensch allein nach Brot, ein wenig Wasser müsste schon mit dabei sein. Bei Wasser und Brot fühlt man sich aber gleich ins Schurkengenre versetzt oder ins Krankenzimmer.
Da ist es schon besser, man ergänzt das Brot mit Käse, so wie es Grimmelshausen erzählt, anlässlich der ersten Bildungsoffensive, die er seinen Titelhelden erleben lässt:
Als der Einsiedel wohlmeinend das Vaterunser vorzutragen beginnt mit Unser täglich Brot gib uns heut, ergänzt Simplicius nämlich sofort: Gelt du, auch Käs dazu?
Die Redewendung Kunst geht nach Brot würde in ihrer dementsprechend verfeinerten Form dann so lauten: Kunst geht nach Käsebrot.

Das Grimmelshausen-Zitat ist übrigens aus dem 8. Kapitel mit der glorreichen Überschrift: Wie Simplicius durch hohe Reden seine Vortrefflichkeit zu erkennen gibt. Wenn man für Simplicius den eigenen Namen einsetzt, ergibt sich daraus ein unschlagbarer Allzweck-Blog-Untertitel …