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Schon vor Jahren habe ich eine Künstlerförderung, hochfein vorgeschlagen und dazu dieses Andachtsblättchen entworfen:
Wenig überraschend hat dieser Vorschlag bisher keine Unterstützung gefunden. Das nicht auf ein konkretes Projekt bezogene Kaffeetrinken und Kuchenessen von Künstlern wird ungern systematisch gefördert. Ende 2021 bin ich aber doch in den Genuss einer Künstlerförderung gekommen, nämlich für ein Vorhaben, das mein Ausstellungsprojekt Rosenfenstergefühl ergänzen soll.
Mein Projekt nennt sich Rosales*, zu Deutsch Rosenartige.
Der Titel ist so gewählt, dass er zu Rosen passt mit allem Drum und Dran (Botanik, Symbolik und Stille), aber auch zu Rosenfenstern mit allem Drum und Dran (Geometrie, Maßwerk und Stille). In der Botanik ist Rosales eine Pflanzenordnung, die die Familie der Rosengewächse umfasst, die wiederum die Gattung der Rosen umfasst. Zu den Rosenartigen zählen aber nicht nur Rosen, sondern auch so leckere Dinge wie Erdbeeren, Äpfel, Kirschen, Mandeln und Birnen. Ein verbindendes Element ist die Zahl 5, denn in der Blüten- und Fruchtmorphologie der Rosenartigen dominiert die 5:
Zu Beginn meiner Projektrecherchen war ich ziemlich fixiert auf die 5. Ich holte einiges an versäumten Mathewissen nach zum Fünfeck und zum Pentagramm und suchte nach Fensterrosen mit Bezügen zur 5. Im Straßburger Münster gibt es ein berühmtes Rosenfenster, in dessen Mitte ein Fünfpass ist und das von 16 Fünfpässen umkränzt wird, das steinerne Maßwerk an der Außenseite des Fensters zeigt außerdem vier Fünfpässe rings um das Rund des Fensters, quasi in allen vier Ecken.
Also bin ich nach Straßburg gefahren. In speiendem Regen lief ich vom Bahnhof Richtung Münster, immer geradeaus, aber dann doch um ein paar Ecken. Irgendwann mehrten sich die Souvenirläden, ich musste ganz nah am Ziel meiner Reise sein. Und das war mein erster Blick auf das Rosenfenster:
Das Fenster kann man auf diesem Foto nur ein bisschen sehen, die Kreisform nur ahnen und das farbige Glas wirkt von außen betrachtet grau. Trotzdem hatte ich in diesem Augenblick das Gefühl, diese steinerne Rose auf gewisse Weise genau richtig zu sehen, so im Ausschnitt und eingefasst von Souvenirläden. Und wie gesagt, es regnete ganz fürchterlich, und dass unten rechts auf diesem Foto ausgerechnet ein Bild von der Welle von Hokusai zu sehen ist, das passte perfekt zu dem nassen Tag, an dem diese Aufnahme entstand. Im Schutz meines Regenschirms stellte ich mich direkt vor das Münster und schaute eine Weile hoch zum Rosenfenster in dem schweren, mit steinernem Spitzengeklöppel verzierten Gebäudemassiv. Froh, dem Regen zu entkommen, spazierte ich links durch eine offene Tür ins düstere Münster hinein, wo ich vor einem Stand mit Opferkerzen Halt machte.
Diese teuersten Kerzen, die ich je in einer Kirche zum Kauf angeboten gesehen habe, werden zu Ehren der Heiligen Rita abgebrannt, eine Heilige, zu der mir erst nur das Beatleslied Lovely Rita, Meter Maid einfiel. Inzwischen weiß ich, die Heilige Rita ist Patronin der Metzger und Ansprechpartnerin für aussichtslose Anliegen. Das Symbol dieser Heiligen ist aber nicht die Wurst, sondern – die Rose.
Ich wandte mich ab vom Kerzenstand und sah erst jetzt hoch zum farbigen Rosenfenster, dem Ziel meiner Reise. Je weiter hinein ich in den Mittelgang ging, desto unverzerrter war es zu sehen.
Jetzt konnte ich mich der Wahrheit nicht länger entziehen: Das Rosenfenster gefiel mir von außen betrachtet besser als von innen! Als ich in der Münsterhöhle im Mittelgang stand und nach oben guckte, wirkte das Rosenfenster viel zu klein, um mit seiner Farbenpracht beeindrucken zu können, jedenfalls an diesem grauen Regentag.
Nur wegen des Rosenfensters mit seinen Fünfpässen und seiner farbigen Pracht war ich nach Straßburg gekommen! Und nun ahnte ich, dass mir der zufällige Blick durch ein Kaleidoskop Wesentlicheres zeigen könnte als der Blick empor zu diesem berühmten Glasfenster.
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Nach meinem Besuch im Münster war ich noch im Frauenhausmuseum, wo ich einen dreifach durchbrochenen Stein sah, der als Doppelfenster mit Oculus betitelt war. Als rundes Fenster ist so ein Oculus im Grunde die Ursprungsform des Rosenfensters. Kein Wunder, dass ich mich in meinem Rosales-Projekt immer wieder mit der einfachen Form des Runden befasse. Mal in einer fotografischen Bestandsaufnahme meiner Umgebung …
Mal im Schattenspiel …
Mal zeichnend …
Mal formend …
Das Runde ist das Ruhende, aber auch das von innen heraus sich allseitig Ausdehnende.
Und würde man ein prächtiges Rosenfenster mit einer köstlich duftenden, prachtvoll gefüllten Edelrose vergleichen, dann erinnert ein Oculus eher an eine gewöhnliche Wildrose.
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Dann und wann fotografiere ich nasse weiße Wäsche, wie sie nach dem Ausräumen aus der Waschmaschine im Wäschekorb liegt und wundersame Formen bildet. Während meines Rosales-Projekts fiel mir auf, dass sich auf diesen Fotos manchmal rosenähnliche Formen zeigen. Oben gut zu sehen neben der Aufnahme einer Westerlandrose.
Während ich mich zeichnerisch und malerisch eher mit Rosenbüschen beschäftigte, habe ich mich fotografisch lieber mit einzelnen Rosen befasst:
Eine meiner Lieblingslektüren während des Projekts war übrigens Das elementare Ornament und seine Gesetzlichkeit von Wolfgang von Wersin, dem ich auch manche Einsicht zur Form des Runden verdanke. Was meine Rosenforschung anging, fand ich besonders interessant, was dort über Einzelmotive des pflanzlichen Aufbaus geschrieben ist und welche Funktionen diese Motive im Ornament übernehmen. Statt von Funktionen und Einzelmotiven spreche ich aber lieber von Gesten …
Vom Ruhenden kam ich dann wieder zum Runden, zum Raum und zur Stille.
Und dann entdecke ich, dass mein altes Foto Schutzgeste perfekt zur Kohlezeichnung Oculus passt!
*Mein Projekt Rosales wird gefördert durch ein Hamburger Zukunftsstipendium der Behörde für Kultur und Medien in Zusammenarbeit mit der Hamburgischen Kulturstiftung und dem Berufsverband bildender Künstler*innen Hamburg!